Ich versuche, Dich zu verstehen
Beim Bäuerinnentag am Dienstag auf dem Landwirtschaftlichen Hauptfest gab Bildungsreferentin Rita Reichenbach-Lachenmann Gedankenanstöße, wie die Generationenbeziehungen im landwirtschaftlichen Familienbetrieb gelingen können, unter dem Motto: „Durch Verstehen Bindung stärken“.
Die Beziehung zwischen den Generationen ist ein kostbares Gut. Im gegenseitigen Geben und Nehmen kann menschliche Nähe und Verständnis entstehen. Kann der Einzelne erleben, dass er bejaht und gebraucht wird, dass er gemeint ist. Wir alle wissen, dass die Generationenbeziehung auch zeitweise nicht gelingen kann oder ihr Gelingen eine stetige Aufgabe für uns ist.
Erfahrungen: Verschiedene Generationen haben unterschiedliche Erfahrungen. Die älteren, Großeltern, haben Krieg und Not erlebt, autoritäre gesellschaftliche Verhältnisse, und eine Erziehung, in der der Grundsatz gilt: Nix gsagt isch globt gnug. Die mittlere Generation hat einen immens schnellen gesellschaftlichen und technischen Wandel erfahren, ist zufrieden im Wirtschaftswunder groß geworden. Die Frauen durften sich, zum großen Teil, Bildung aneignen. Die jüngere Generation ist im gesättigten Wohlstand geboren. Die elektronischen Medien nehmen großen Raum in ihrem Leben ein. Sie sind gefordert, flexibel und mobil zu sein, und ihre Zukunft erscheint manchmal ungesicherter als die der mittleren Generation in deren Jugendalter.
Lebensfragen: Unterschiedliche Generationen beschäftigen auch unterschiedliche Lebensfragen. Der ältere Mensch ist damit konfrontiert, dass seine Existenz, seine Kraft, seine Zeit begrenzt ist. Ihn beschäftigen Fragen wie: Bin ich noch jemand, wenn ich nicht mehr arbeiten und mithelfen kann? Bin ich dann noch wertvoll? Werde ich im Alter alleine sein? Wo werde ich leben? Wer wird für mich sorgen, mich pflegen? Wie wird diese Pflege aussehen?
Die mittlere Generation beschäftigt Fragen wie: Bietet der Hof mittel- und langfristig eine Existenz für uns und für unsere Nachkommen? Wenn ja, ist überhaupt eines der Kinder an der Fortführung interessiert? Wie geht es uns als Paar? Wie wollen wir als Paar miteinander leben, wenn die Kinder aus dem Haus sind? Wie ist überhaupt die Bindung zu unseren Kindern? Und: Haben wir schon Schwiegerelternreife erreicht, nämlich ein herzliches Willkommen aussprechen zu können?
Die jüngere Generation beschäftigt Fragen wie: Werde ich einen ordentlichen Schulabschluss schaffen? Werde ich den Beruf erlernen können, den ich möchte, oder das gewünschte Fach studieren können? Übernehme ich den landwirtschaftlichen Betrieb aus ganzem Herzen oder aus Verpflichtung? Welchen Platz nehme ich im Freundeskreis ein? Bin ich geschätzt? Finde ich einen Freund/eine Freundin, der/die begeistert von mir ist?
Wertvorstellungen: Auch die Ansichten unterscheiden sich je nach Generation zum Beispiel hinsichtlich der Rolle und der Aufgaben der Frau, Erziehung der Kinder, Bedeutung der Arbeit (leben wir, um zu arbeiten oder arbeiten wir um zu leben?).
Wenn wir uns dies vor Augen halten, dann wird es nur selbstverständlich, erscheint uns fast zwangsläufig, dass Missverständnisse entstehen. Allein darum, weil wie verschiedenen Generationen angehören.
Persönlichkeit: Jede und jeder ist auch eine einzigartige Persönlichkeit. Wir kennen ältere Menschen, die nur sehen, was sie nicht mehr haben und nicht mehr können. Aber es gibt auch Ältere, die innerlich bereit sind, schwächer zu werden und die Fackel zu übergeben. Die trotz allem sehen, was sie noch haben und noch können.
Da gibt es Menschen der mittleren Generation, die den Freunden und Partnern ihrer Kinder, auch den späteren Schwiegerkindern, mit Herzlichkeit begegnen. Aber auch solche, die jeder Erweiterung ihrer Familie skeptisch und misstrauisch gegenüberstehen.
Und auch in der jungen Generation finden wir ganz unterschiedliche Persönlichkeiten. Junge Menschen, die mit großer Zuversicht ins Leben hinausschreiten, mit der Haltung: Es gibt für alles eine Lösung, Probleme sind zum Lösen da. Andere treten mutlos und zaghaft den Lebensanforderungen entgegen.
Jeder Mensch trägt eine eigene, kleine Welt in sich. Jeder hat einen anderen Lebenshintergrund, andere Erfahrungen, Sichtweisen, Einstellungen, aber auch Empfindungen. Jeder hört anders, nimmt anders wahr und reagiert anders.
Das Verstehen des anderen und das von anderen Verstandenwerden gelingt leider nicht immer so reibungslos, wie wir uns das wünschen. Wir alle kennen das: Der eine sagt was und beim anderen kommt es ganz anders an als es gemeint war, er hat es „in den falschen Hals bekommen“.
Unser Gegenüber ist geneigt, nur einen Teil des Gesagten zu hören, weiterzudenken oder etwas Spezielles in das Gesagte hineinzudeuten. Entscheidend ist immer, welche Ohren unser Gegenüber auf Empfang geschaltet hat, und welche Bedeutung er in das Gesagte hineinlegt. Das gilt natürlich nicht nur für den anderen, sondern auch für uns selbst.
Grundsätzlich kann man diese Vorgänge auf ein einfaches Schema von Sender und Empfänger bringen. Jede Nachricht hat einen Sachinhalt und es schwingen immer Gefühle mit. Gefühle werden aber oft nicht ausgesprochen, das gibt Raum für Spekulationen und so entstehen leicht Missverständnisse. Mit welchem (empfindsamen) Ohr wir hören, das hängt stark mit unserer Tagesverfassung zusammen, aber auch mit unser Persönlichkeitsstruktur.
Alle Missverständnisse lassen sich nicht vermeiden. Aber dass sie sich vielleicht schneller auflösen oder sich zumindest nicht zu einem Konflikt auswachsen und die Fronten verhärten, wo jede Seite ihr Verhalten mit dem Verhalten der Gegenseite begründet (weil du, deshalb...) wo jede Seite nur noch der anderen die Schuld zuschiebt, wo jeder wartet, dass der andere den ersten Schritt tut ...
Vor allem für Zeiten, in denen kein Missverständnis herrscht, in denen wir einen ungetrübten Blick auf andere haben, sollten wir die Generationenbeziehung immer wieder einmal unter dem Aspekt des Gelingens wahrnehmen. Die Hilfe, die wir erfahren, Freude und Glück nicht nur wahrzunehmen, sondern auch auszusprechen. Bejahen statt zu kritisieren, ermutigen statt zu entmutigen, wertschätzen statt Defizite aufzeigen.
Wenn es zu Missverständnissen kam, gibt es drei Hilfen. Um diese anwenden zu können, muss ich wissen: Ändern kann ich nur mich selbst. Ansprüche an den anderen erzeugen oft Trotzreaktionen. Das Kostbarste in der Beziehung ist weder einklagbar noch bestellbar. Es ist ein Geschenk. Wir sind immer besser beraten, uns auf die eigenen Quellen in uns zu besinnen als Ansprüche an den anderen zu stellen. Wir werden reifer und stärker, wenn wir den ersten Schritt tun und und uns wieder beziehungsfreundlich verhalten.
Drei Hilfen bei Missverständnissen
1. Wenn es zu einem Missverständnis kam: Umschalten, einen Schritt zur Seite gehen, sich selbst reflektieren. Hat der andere es überhaupt so gemeint, wie ich es höre? Was ist meine Empfindlichkeit, die ich hineintrage?
Wenn es uns gelingt, in der erregten Situation nicht so zu reagieren, wie uns impulsiv zumute ist, sind wir kleine Helden und wir haben etwas beschützt, nämlich die Beziehung zum anderen.
2. Innehalten und überlegen: Wer ist mein Gegenüber? Was beschäftigt mein Gegenüber? Wenn es gelingt, uns in den anderen hineinzufühlen, zu sehen, was ihn umtreibt, dass das vielleicht gar nicht so unterschiedlich ist zu dem, was uns umtreibt, dann werden wir weicher, die Mauern in der Seele bröckeln.
3. Entscheidende Hilfe: Dass ich aktiv werde, dass ich aus der Warteposition heraustrete und die Beziehungsfalle nicht zuschnappen lasse (weil du..., deswegen...)
Konkret: Dass ich mir überlege, was könnte mein Beitrag für ein besseres Miteinander sein? Wie könnte ich den anderen mit einer Friedensleistung beschenken? Was könnte mein erster Schritt sein, um die Bindung zwischen uns wieder zu stärken?